CHILE, sauber, reich, modern, europaeisch. Santiago koennte vom ersten Eindruck her leicht in Spanien (oder Italien) liegen. Nur das zuefaellige Gespraech mit einem recht verdorbenen Strassenkind korrigierte allzu heimische Gefuehle. Obwohl, ganz Chile scheint auf einem sehr angenehmen Standard zu leben (was sich leider auch in der Preisstruktur widerspiegelt) und auch die Armut ist hier wohl in keinem Vergleich zu anderen suedamerikanischen Laendern.
Die Menschen sind sehr herzlich und trotz dem Einzug der Moderne, scheinen noch intakte Verhaeltnisse zu herrschen und so sieht man unter anderem super-modisch bekleidete Jugendliche mit ihren "altmodischen" Grosseltern Arm in Arm durch die Strassen flanieren...
Im Allgemeinen erwecken die Chilenen auch den Eindruck, die intellektuellere Seite Suedamerikas zu sein. Viele Schriftsteller und Denker wurden hier schon geboren. Und die Menschen wirken recht vielschichtig und entziehen sich einfachen Clichees.
Ein angenehmes Reiseland, ausser dass die Distanzen etwas muehsam werden koennen (Chile ist mehr als 4'000 km lang, aber nur maximal 180 km breit). Es spielt sich auch der Grossteil des Lebens suedlich von Santiago ab, und so gab es fuer uns, da wir nach Norden reisten, viel Wueste und wenige Ortschaften zu sehen.
Die Ueberlandreise von Chile nach Bolivien gab uns einen Eindruck davon, wie bezaubernd uns vielfaeltig eine, im Grunde genommen, karge Landschaft sein kann. Und so ging die 3-tages Reise anfangs durch eine bizarre Mondlandschaft mit links und rechts bis zu 6'000 Meter hohen, erloschenen Vulkanen. Was aber die ganze Gegend zum Leben brachte, war die Dynamik der Bodenfarbe. Alle moeglichen Schattierungen von dunkelbraun bis hellgelb ergaben einen dramatischen Anblick. Kleine Oasen des Lebens waren die hin und wieder auftauchenden Lagunen. Auch diese in knalligem Gruen oder Rot, mit unzaehligen rosa Flamingos "verziert". Spaeter wurde eine noch unwirklichere Landschaft erreicht, als die Ebene mit einem Salzsee auftauchte. Knietiefes Salzwasser bis in die Unendlichkeit; Himmel und Erde verschmolzen zu einem farblosen Nichts, nur in der Ferne schien ab und zu ein Berg zu schwimmen...
BOLIVIEN, von einer 6'500 Meter hohen Bergspitze in den Anden, bis hin zum einige hundert Meter hohen Tiefland im Osten, ist es eines der duennsten besiedelten Laendern Suedamerikas. Obwohl der groesste Teil der Bevoelkerung auf einer kahlen Hochebene lebt, welche zwischen 3'600 und 4'100 Metern variiert. Hier liegen auch alle nennenswerten Staedte (z.B. La Paz und Potosi, die hoechstgelegene Haupt- bzw. Grossstadt der Welt) und der Titicaca-See.
Bolivien ist auch eines der aermsten Laender Suedamerikas (was es aber wieder moeglich macht, fuer 50 Rappen zu essen). Da viele Einwohner Bauern sind (mitten im Nichts, nach und vor stundenlanger Oede, stehen wieder Menschen am Strassenrand und warten auf einen Bus), heisst dies eher einfache und harte Verhaeltnisse, als Elend. Interessanterweise sind die Staedte und die groesseren Siedlungen ziemlich reich (dies im Vergleich zu Indien, wo Armut und Elend allgegenwaertig sind), und so finden sich hier auch wieder alle US-amerikanischen und europaeischen Konsumgueter wieder. Eine Konsequenz davon ist, dass das Aussehen der urbanen Bevoelkerung auf einige wenige Designerkleidungsartikel "reduziert" ist. Und in der Tat scheint dies eine weltweite Nivellierung im Erscheinungsbild der Staedte zu sein: Egal wo man sich befindet, die Artikel in den Geschaeften sind die Selben.
Auch geschichtlich und politisch hatte Bolivien einiges zu ertragen seit der Unabhaengigkeit von der spanischen Kolonialherrschaft in 1825. So zwei Kriege (einer gegen Chile und Peru, ein anderer gegen Paraguay) und eine Annektierung (durch Brasilien), in denen Bolivien jedesmal Land verlor, u.a. der Zugang zum Pazifik. Spaeter wurden als Kompensation dafuer der Bau von Eisenbahnlinien versprochen. Eine wurde dann tatsaechlich auch von Chile gebaut. Und seit 1825 gab es auch noch 200 gewaltsame Machtwechsel.
Was das Leben zusaetzlich noch erschwert, ist die grossflaechige Erosion, v.a. in der Regenzeit. Da es an den meisten Haengen kein stabilisierendes Wurzelwerk hat, entstehen z.T. ganze Schluchten, welche sich tief in die Erde fressen. Und so sieht man manchen Acker, der durch einen metertiefen Abgrund begrenzt ist, wo unten ein Fluss die Erde abtraegt. Auch die Strassen, welche zum groessten Teil nicht asphaltiert sind, werden durch die Regenfaelle arg in Anspruch genommen und es entsteht der Eindruck, als ob jedes Jahr die Strassen einen anderen Verlauf haben muessten...
Leider herrscht auch in Bolivien ein Mangel an Sauberkeit, was v.a. ausserhalb den Siedlungen ins Auge faellt. Aber auch hier ist dies nicht von asiatischem Ausmass und die Staedte selber und die Unterkuenfte sind sauber.
Trotz allem sind die Bolivianer liebenswuerdige, herzliche und ehrliche Menschen.
j&l
Die Stadt Potosi in Bolivien, auf 4'065 Metern gelegen, zaehlte anfangs 17. Jahrhundert mehr Einwohner als Paris, Rom oder Madrid. Grund dafuer war das reiche Silbervorkommen im kegelfoermigen Berg, welcher hinter der Stadt in die Hoehe ragt und den Spaniern ueber 100 Jahre lang Tausende Tonnen des Metalles bescherte. Dies zum Leidwesen der einheimischen Bevoelkerung, welches sich bis zum heutigen Tag manifestiert. Zu den historischen Tatsachen, welche einen Schatten werfen, gehoerte die Idee, nicht nur die Hochlandbewohner der Region in den Minen zu versklaven, sondern noch zusaetzlich afrikanische Sklaven dorthin zu verschleppen. Der erwartete Arbeitszuwachs blieb jedoch aus, da die meisten Afrikaner rasch an der feindlichen Hoehe und Kaelte starben. Es gab auch eine Auseinandersetzung zwischen den spanischen Minenbesitzern und der katholischen Kirche, da diese das bis auf die Inkas zurueckzufuehrende Kauen von Coca als teuflisch einstufte und verbot. Die Minenbesitzer wussten jedoch um die wirtschaftliche Notwendigkeit des Cocakauens, da die Arbeiter unter dessen Einfluss viel mehr leisten und ertragen konnten und dies bei reduziertem Hungergefuehl und Nahrungsmittelbedarf (und so war ein Sack Cocablaetter nicht viel weniger wert als das Silber selber). Schlussendlich fanden die beiden Parteien einen Kompromiss. Das Kauen von Coca wurde wieder geduldet, aber die Cocablaetter mit einer Kirchensteuer behaftet.
Heute gibt es nur noch einige Reste von Zinn und Zink im Berg. Dies genuegt aber jedoch, dass noch einige Tausend Menschen dort ihren Lebensunterhalt zu beschtreiten versuchen. Die moderne Tatsache, dass sie in staatlichen oder privaten Gesellschaften organisiert sind aendert nichts an den unmenschlichen Umstaenden. Und so arbeitet in den Minen heute noch ein betraechtlicher Anteil an Kindern, ab 12 oder 14 Jahren (obwohl in Bolivien Kinderarbeit verboten und die Schulpflicht obligatorisch waere). Dies bei einer Lebenserwartung von 35 Jahren (fuer diejenigen, die in Kindesalter die Arbeit anfangen natuerlich einiges weniger), wegen den giftigen Gasen in den Stollen und den allgemeinen Arbeits- und Ernaehrungsbedingungen (an 6 Tagen 8 Stunden lang Steineschleppen, mit bloss einer Backe voll Cocablaettern und bei einem Temeperaturunterschied von bis zu 35 Grad zwischen Eingang und tiefster Ebene im Berg). Man fragt sich wieso die Leute dies alles auf sich nehmen und unter Zustaenden arbeiten, welche sich kaum in 300 Jahren geaendert haben. Die Antwort ist einleuchtend wie auch tragisch, denn im Schnitt verdienen die Minenarbeiter doppelt so viel wie z.B. Polizeibeamte. Das Truegerische liegt an der Tatsache, dass dieser Schnitt zustande kommt, indem einige Wenige Glueck haben aber die Meisten dabei fast leer ausgehen. Die Faszination am Spiel mit dem grossen Glueck. Aber trotzdem ist es nicht einmal der Vergleich mit Europa, der einem zu denken gibt, denn nur schon im Zentrum von Potosi laufen jugendliche Bolivianer durch die Strassen, welche, von Kopf bis Fuss mit Designer-Kleidern ausgestattet sind, sogar modischen Accessoires wie hell-rosa Sonnenbrillen entdeckt haben. Verrueckte Welt. Persoenlich ist der Besuch der Minen eine erschuetternde Erfahrung. Etwas Positives liegt lediglich an der Tatsache, dass man den Minenarbeitern "Geschenke" (wie Wasser, Cocablaetter oder Dynamit) mitbringen kann und vielleicht ein ganz kleines Stueck Bewusstsein dafuer entsteht, was fuer ein Stellenwert unseres, fuer uns so alltaegliches und normales Leben (inklusive seinen Problemen) auf dieser Welt hat. Wer weiss...