HONG KONG - Asien von einer anderen Seite. Erfrischend, modern und high-tech. Technisch doch nicht China - auch seit 1997 nicht.
CHINA ist eigenartig, d.h. voller Eigenarten. China ist auch sonderbar. Die Staedte sind saubere, grosszuegige, zeitgemaesse und mondaene Metropolen. Sie stehen den westlichen Zentren in nichts nach (in der Tat haben chinesische Staedte kleine spezielle Extras wie nachts gruen beleuchtete Baumalleen oder Displays neben den Ampeln, welche die Sekunden bis zum Farbwechsel anzeigen). Die Menschen selber sind sehr modebegeistert und -bewusst. Dies alles fuegt sich zu einer vermeintlich bekannten Umgebung zusammen. Nur die Tatsache der asiatischen Gesichtszuege der Leute und die unleserlichen Schriftzeichen ueberall bilden einen sonderbaren Kontrast zwischen Vertrautheit und Fremdartigkeit. Auch die Omnipraesenz westlicher Komsumgueter erhoeht diesen Kontrast und es wird der Eindruck erweckt, dass China selber fast keine eigenen Produktionsstaetten besitzt. Von Armani bis Yahoo! ist alles vertreten. Wenn man bedenkt, dass China erst seit knapp 30 Jahren den Rest der Welt zur Kenntnis nimmt, eine gewaltige Entwicklung. Ein wahres Glueck fuer den westlichen Kapitalismus, auf diesen ungesaettigten und schier unbegrenzten Konsumenten-Pool zugreifen zu duerfen. Und angenehm fuer die kommunistische Regierung Chinas, die maechtige westliche Welt in solch einem Abhaengigkeitsverhaeltnis zu sehen, denn so schwindet auch deren Motivation politisch empfindliche Themen aufzugreifen (Tibet, Tiananmen, Menschenrechte, Meinungs-, religioese Freiheit,...).
Die Frage stellt sich, wo aber genau diese Regierung mit ihrem totalitaeren Wesen spuerbar ist. Es scheint, als ob das System sich zurueckgezogen haette, im Hintergrund agiert, kontrolliert und zensiert (die Nachricht, dass der Literaturnobelpreis an einen gefluechteten Chinesen ging war in keines der oeffentlichen Medien zu erfahren) und den Menschen mehr Freiraum zur Entfaltung gewaehrt (im staatlichen TV gibt es ein Sportmagazin mit dem Namen "Bundesliga" und entsprechendem Inhalt und NBA Basketball-Spiele werden live uebertragen). Dies scheint eine neuartige Lebensfreude der chinesischen Bevoelkerung zu erwecken. Und den Menschen in den Staedten geht es in der Tat wirklich gut. Ein ausgewanderter Chinese meinte zynisch, China waere kapitalistischer als der Westen. Mit Geld geht alles, wer Geld hat darf alles - unbegrenzte wirtschaftliche Freiheit. Dies alles, solange die politische Macht niemals beruehrt oder nur angenaehert wird. Und so geht China ins neue Jahrtausend: an der Oberflaeche an rasant boomendes, reiches, liberales Land mit starren, unsichtbaren Machtstrukturen dahinter. Der Preis des urbanen Wachstums geht jedoch auf auf Kosten einer breiten Bevoelkerungsschicht, die ausserhalb der Staedte in Armut und ohne soziale Netze ins Bodenlose faellt...
Als Tourist merkt man ziemlich schnell, dass China relativ teuer ist (Transport und Unterkuenfte [die guenstigste Herberge in einer Stadt war ein kleines Zimmer ohne Bad fuer ueber 70.- sFr.!]) und das Herumreisen schwieriger (inkompetente Anlaufstellen, buerokratisch laehmende Vorschriften, muehsame Vorschriften [z.B. kann man Flugtickets nur mit Bargeld bezahlen]). Mit der Behoerde (fuer Touristen in der Form des Amtes fuer oeffentliche Sicherheit) kommt man selten in Konflikt, ausser man will in eines der vielen billigen Unterkuenften absteigen, welche alle aber nur fuer Chinesen zugaenglich sind. Das Amt hat auch die Aufgabe, sicherzustellen, dass Touristen keinen allzu intimen Kontakt zu Chinesen pflegen (und umgekehrt). Auch die kulinarischen Eigenarten, welche der Westen den Chinesen zuschreiben, sind leider wahr. Und so spazierten wir am 1. Tag in ein gepflegt aussehendes Restaurant, um in einem Ausstellraum die lebenden Bestandteile des Menues anzutreffen: fingerdicke, rosa Wuermer, Maden, schabenartige Wasserinsekten, Schlangen, Wasserschlangen, Schildkroeten. Die einzige nicht-lebende Zutat war ein ausgenommener und gehaeuteter kleiner Hund - schoen samt Kopf auf einigen Salatblaettern praesentiert. Lecker... Dies scheint einigen Touristen zuzusagen und so durften wir beobachten, wie einige junge Touristen in einer anderen Stadt das spezielle Schlangen-Menue bestellten. Dies beinhaltet, neben dem Schlangenfleisch, auch ein kleines "Ritual", indem die lebende Schlange vorgefuehrt, aufgeschnitten und das noch warme Blut den furchtlosen Touristen in einem Cocktail-Glas serviert wird. Fuer alle Beteiligten ein fragliches Vergnuegen.
Im Vergleich zu Indien scheinen die Chinesen etwas ehrlicher zu sein. Auch die Frauen in China nehmen vermehrt am oeffentlichen Leben teil. Und in allen Hotelzimmern (egal von welcher Preisklasse) findet man kleine Aufmerksamkeiten wie Pantoffeln, Duschkappen, Thermoskannen mit heissem Wasser, Teetassen und natuerlich einen TV. Trotz der teuren Preisstruktur ist es dennoch eigenartigerweise Moeglich in Staedten super-billig zu essen (so kostet eine Riesenportion Reis mit Suppe und Tee 40 Rappen!). Aber der groesste Unterschied zu Indien ist die wohltuende Sauberkeit und Strukturiertheit ueberall. Dafuer ist die Selbstverstaendlichkeit, welche wir in Indien antrafen, mit jedermann englisch zu sprechen (die meisten Inder konnten sogar noch einen Happen Deutsch oder Franzoesisch) leider absolute Raritaet. Und leider sind die Chinesen nicht sehr begabt, pantomimische Gesten mit Einfallsreichtum zu interpretieren. Interessanterweise waren die meisten China-Touristen aeltere Leute.
Auch China wird in naher Zukunft vor massive Probleme gestellt. Umweltzerstoerung, -verschmutzung (5 der 10 weltweit verschmutztesten Staedte sind in China), Inflation, Korruption und das Bevoelkerungsproblem (Konsequenzen der 1-Kind-Politik sind u. a. eine Verschiebung des Geschlechterverhaeltnisses [man bevorzugt maennlichen Nachwuchs] und eine enorme Ueberalterung).
TIBET - ein wunderbares und magisches Land. Das wahre Dach der Welt. Trotz der oeden und kargen Landschaft strahlt alles in einem wundersamen und intensivem Licht. Atemberaubende Schoenheit der Natur. Und die Tibeter selber sind friedvolle, zaehe und liebenswuerdige Menschen. Mit ihrer Religion eng verwurzelt sehen sie ihre physische Existenz nur als einen kleinen Aspekt der wahren, angestrebten Realitaet und so bilden religioese Rituale den groessten Bestandteil ihres Lebens (in der Tat ist der tibetische Buddhismus eines der vielfaeltigsten und buntesten Variationen des Buddhismus). Ob Kleriker oder einfacher Arbeiter, alle sind staendig in meditativer Rezitation ihrer Gebetssprueche vertieft - bei jeder Taetigkeit, zu jeder Zeit. Die Pilger nehmen monatelange Maersche durch diese menschenfeindliche Landschaft in Kauf, um an heiligen Orten Segen zu empfangen. Diese Maersche werden durch rituelles Verbeugen und Hinlegen der Pilger auf den Boden alle paar Schritte enorm erschwert. Und ueberall wehen farbige Gebetsfahnen im Wind, deren Inhalt auch immer den Wunsch nach dem Wohle aller Wesen beinhaltet...
Eine doppelte Tragik und Ironie, dass Tibet nicht nur von einer Diktatur besetzt worden ist, sondern dazu auch noch von einer atheistischen (ob Mao Atheismus aus philosophischer Ueberzeugung gewaehlt hat, oder aus Paranoia gegenueber jeglicher institutioneller Macht neben seiner, sei dahingestellt). Leider war die geschichtliche Situation so, dass Tibet ein Bestandteil der letzten chinesischen Dynastie war, welche 1911 zerfiel. Dies um so mehr Maos Legitimation Tibet zu "befreien". Und im Fieber der kulturellen Revolution (was fuer ein Namen fuer die Zerstoerung von Literatur, Kunst, Kultur und Religion und die Exekution deren Urheber in ganz China) wurde mit Vehemenz und Bitterkeit ein ganzes Volk zerstoert und von ihrem Reichtum beraubt (ueber 1 Mio. Tibeter starben und ueber 100'000 fluechteten).
Heute sieht die Situation wieder anders aus. Ob aus allgemeiner Liberalisierung oder aus Witterung einer lukrativen Geldquelle fuer die Regierung sei dahingestellt. Tatsache ist, dass die vielen Kloster wiederaufgebaut werden (waren beliebte Ziele fuer das Artilleriefeuer der ehemaligen chinesischen Besatzungsmacht), tibetische Fluechtlinge wieder einreisen duerfen (unter der Vorlage, dass sie nie wieder Tibet verlassen duerfen) und im staatlichen TV viele Kultursendungen ueber Tibet gezeigt werden. Immerhin, obwohl die Tatsache, dass 1996 Bilder des Dalai Lamas in ganz Tibet verboten wurden, darauf hindeutet, dass die chinesische Regierung wirklich nichts mit tibetischem Buddhismus anzufangen weiss und Tibet als grosses Disney Land fuer Westler (und ihre $) hochzieht.
Der Alltag ist wiederum anders. Die Tibeter sind trotz ihres Schicksals heitere, glaeubige Menschen, die das Strahlen im Gesicht nicht verloren haben. Die Kloster und Tempel haben immer noch ein gewisse Energie, obwohl sie eigentlich nur noch leere Huellen sind. Aber ob Tibet je wieder frei sein kann, ist hoechst fraglich. Nur schon der Umstand, dass viele Tibeter sich an den modernen, von den Chinesen mitgebrachten Lebensstandard gewoehnt haben, scheint irreversible Konsequenzen mit sich zu tragen...
Dies also ein kleiner Eindruck, den wir von diesem riesen Land in nur kurzer Zeit gewonnen haben,
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