INDIEN – Land der Gegensaetze und Widersprueche, Land der Erwartungen und Offenbarungen. Der Reisefuehrer mahnte: "Love it or hate it you can never ignore India" und fuegte offenherzig hinzu: "Basically India is what you make of it and what you want it to be"…
DAS HAESSLICHE INDIEN
Delhi, Stadt des Chaos. Laerm und Gestank, Hitze und Ohnmacht. 200 Meter Wegstrecke im Pahar Ganj Viertel ist unglaublich ermuedend, da man einerseits versuchen muss, nicht vom Verkehr mitgenommen zu werden und andererseits eine Masse von Indern fernhalten sollte, welche sich auf jeden westlichen Touristen stuerzen, waehrend man (mehr oder weniger) geschickt den Abfall auf der Strasse meidet. Und natuerlich wurden wir die ersten 2 Tage von fast jedem Inder (Hindu wie Muslim) verarscht, mit dem wir Geschaefte machen mussten.
Fuer die Hindus scheint es einfach zu sein, vom Umstand der Bettler nicht beruehrt zu werden – das Kastensystem und Gewohnheit scheinen da zu helfen. Doch fuer uns westliche Touristen ist der Anblick von Kindern welche durch Kinderlaehmung verkrueppelt sind (eine Schluckimpfung von einem anderen Karma entfernt!) und Leprakranken gravierend. Persoenlich loest dies eine Kettenreaktion von Empfindungen aus: Mitleid, Ekel, Schuldgefuehle, Hilflosigkeit. Doch auch hier hilft die Gewohnheit und eine Abstumpfung findet statt, obwohl wir versuchen, regelmaessig den wirklich Aerbaermlichen mit kleinen Geld- oder Nahrungsmittelspenden kurz Abhilfe zu schaffen. Der Tropfen auf dem heissen Stein… Demgegenueber steht ein kleiner Junge, der (leider offensichtlich) einen Arm unter dem Hemd versteckt und uns die andere Hand zum Betteln hinhaelt…
Leider Scheint auch Indien von dem asiatischen Unvermoegen betroffen zu sein, keinen Sinn fuer Aesthetik oder Hygiene zu haben. So wird der Muell am besten direkt vor die Fuesse geworfen oder aus dem Zug geschmissen. Und die Notdurft im Ecken verrichtet. Tragisch wie so die atemberaubendsten Anblicke relativiert werden.
DAS APOKALYPTISCHE INDIEN
Indien hat nach China die zweit groesste Population. Momentan vergroessert sich diese jaehrlich um etwa 20 Millionen Menschen, was Schaetzungen nahe legt, welche besagen, dass in nicht allzu ferner Zukunft Indien China abloesen wird. Im prekaeren Kontrast dazu beansprucht Indien nur ca. 2.4% der Landmasse der Erde. Der Druck auf die Umwelt resultierend aus dem Energiebedarf und dem Abfallberg hat schon heute einschneidende Auswirkungen: Waelder werden abgeholzt, Tierarten sind am aussterben und die Qualitaet der urbaren Erde nimmt konstant ab. Neulich wurde eine Smogwolke ueber dem indischen Ozean entdeckt und mit der Luftverschmutzung der indischen Staedte und dem Monsoon in Verbindung gebracht. Parallel zu diesen Entwicklungen scheint Indien zunehmends in einen Zustand von Ungleichgewicht zu rutschen, indem der Ueberfluss zugunsten von grundlegenden Massnahmen zur Lebensverbesserung Oberhand nimmt.
Der (ewig) wiederaufflammende Krisenherd Kashmir. Auf der Titelseite der Times of India war zu lesen, dass eine indische Partei von der Regierung fordert, haerter mit den muslimischen Rebellen umzugehen, auch wenn dies Uebergriffe auf pakistanisches Gebiet zur Folge haette und als kriegerischer Akt interpretiert wuerde. Der pakistanische Aussenminister meinte (unabhaengig davon) lakonisch, dass Indien und Pakistan beide Atomwaffen haetten und diese sicherlich waehrend einem Zwischenfall einsetzten wuerden. Und die Rebellen drohen den Konflikt auf ganz Indien auszudehnen. Waehrenddessen kostet die militaerische Praesenz in Ladakh – dies als Machtdemonstration China gegenueber – ca. 1 Million US$ am Tag…
Wahrlich ominoese Zeichen. Bezeichnenderweise leben wir momentan im Zeitalter des Kalyug, welches nach indischer Mythologie durch zunehmende Geschwindigkeit ausgezeichnet ist und dem Weltuntergang vorausgeht. Bleibt nur zu hoffen, dass das Zeitalter des Wassermannes im Okzident ueberhand hat…
DAS BELOHNENDE INDIEN
Der Staat Himachal Pradesh im Norden mit der Hauptstadt Shimla, welche einerseits durch breite Strassen und Kolonalstiel ein ungewoehnliches Bild abgibt und andererseits mit seinen engen Gassen, Treppen und dem Bazar wieder typisch indisch ist. Viele reiche Inder verbringen hier (weg von der Hitze des Flachlandes) ihre Ferien – mit dem altbekannten gepipse der Handys. Viele Affen streunen friedlich ueber die Strassen und Daecher und die Weibchen habe ihre Kleinen auf dem Ruecken sitzen oder am Bauch klammernd. Das kleine Bergdorf Rewalsar, mit dem noch kleineren See und den buddhistischen, Hindu- und Sikh-Tempeln, den heiligen buddhistischen Hoehlen auf dem Berg oben.
Dharamsala mit den vielen Exil-Tibetern und noch mehr Touristen. Bei dem Massen-Haendeschuetteln (ca. 150 Touristen) mit dem Dalai Lama fehlte die kontemplative Note aber die Ausstrahlung und das Laecheln dieses besonderen Menschen von nahem zu erleben und sehen war wirklich eindruecklich. Die oeffentliche Audienz beim Karmapa (spirituelles Oberhaupt eines anderen buddhistischen Ordens) war dafuer um so inspirierender. Er ist erst ein 17-jaehriger Junge. (Auch fuer den Buddhismus sind es schlechte Zeiten. Der sog. Panchen Lama (ein 10-jaehriger Junge!) ist in China inhaftiert und wuerde eine essentielle Rolle spielen, die nachfolgende Inkarnation des heutigen Dalai Lamas zu bestaetigen. Und um die 17. Inkarnation des Karmapas gibt es auch Unstimmigkeiten, da es zwei davon gibt. Dies spaltete den Orden in zwei Lager und beide behaupten von der anderen Seite mit China verbuendet zu sein.)
Ein zweiter Besuch in Delhi zeigt uns auch diese Stadt von ihrer
schoeneren Seite.
Auf den ewigen Bus- und Zugreisen erfaehrt man die Inder als freundlich, hilfsbereit und neugierig. Ihre Gastfreundschaft nur schon in bezug auf das Essen ist herzwaermend ruehrend (und so "mussten" wir trotz freundlichem Ablehnen unsererseits auf ihr Insistieren hin alles Moegliche an exotischen Snacks kosten). Auch mit den Touristen knuepfen sich oftmals kleine Banden der Freundschaft, welche nach kurzer Zeit wieder im Meer der Moeglichkeiten aufgehen…
Mit lieben Gruessen an Euch Daheimgebliebenen
Eure
j&l
DAS ZAUBERHAFTE INDIEN
Rajasthan - Land der Koenige und Forts - ist Indien von der exotischen und geschichtlich gepraegten Seite. Hier, nahe der Wueste, wird das gewohnte, von Kuehen und Schweinen bevoelkerte Strassenbild zusaetzlich noch von Kamelen und Elefanten ergaenzt.
Jaipur, die Hauptstadt. Hier wird man zum ersten Mal mit der erstaunlichen Baukunst und Architektur dieser Region konfrontiert. Das Amber Fort ausserhalb bietet schon seit 400 Jahren ein Bild ausgewogener Schoenheit mitten in der huegeligen Landschaft.
Jaisalmer, die Maerchenstadt. Ein 800-jaehriges Fort auf einer Erhoehung plaziert dominiert das kleine Staedtchen. Das Fort ist bewohnt und bildet mit den kleinen, verwinkelten Gassen ein Stadt fuer sich. Von weitem betrachtet ein erstaunlicher Anblick. Doch was wirklich umhaut, ist der Blick von nahem: Der akribisch genau behauene Sandstein explodiert zu einem Kunstwerk filigranster Muster. Und dies ueberall wo man hinschaut. Jedes Gebaeude, jede Wand. Die Unterkuenfte im Fort sind alte Havelis, ehemals Haeuser der reichen Kaufleute. Das Einzige was die Zeitlosigkeit dieses Ortes durchbricht sind die indischen Kampfjets, welche regelmaessig zum nahen Militaerstuetzpunkt fliegen. Die pakistanische Grenze ist ein paar 100 km entfernt. Die Kehrseite betrifft wieder einmal die Sauberkeit und Hygiene. In abgelegenen Gassen stehen die heiligen Kuehen auf Muellbergen, dessen Bestandteile sie genuesslich verzehren. Es gibt auch kein Kanalisationssystem. Die Inder benutzen die Innenseite der Fortmauer als Toilette. Und wir stellen bald fest, dass der Abfluss unseres WCs einige Meter weiter unten zur Mauer herausragt und prompt auch dort endet. Dass noch keine Seuchen ausgebrochen sind ist verwunderlich...
Jodhpur. Eine noch beeindruckendere Version des Themas "Fort auf Erhoehung mit Stadt rundum". Das 200-jaehrige Fort ist immens. Fast nicht zu vergleichen mit europaeischen Schloessern und Burgen. Leider ist es nicht bewohnt. Die Fassaden der Haeuser der Altstadt sind alle hellblau bemalt, was von oben wirklich einzigartig aussieht.
Ranakpur. Ein heiliger Ort fuer die Jains (Bemerkungen ueber Jainismus siehe weiter unten). Im Prinzip nur ein paar Haeuser im ueppigen Wald. Und dann ist da noch der Tempel. Von weitem recht klein und nicht so beeindruckend (wir sind eben langsam schon recht verwoehnt). Die Offenbarung liegt wieder im Detail. 1444 behauene Saeulen - keine Zwei sind gleich. 29 Kuppeln. Verzierungen wo man nur hinschaut. Und alles in weissem Marmor.
Udaipur mit den wunderschoenen Sonnenuntergaengen in der lieblichen Huegellandschaft. Bond war hier in "Octopussy". Eine friedliche Stadt am See. Hier manifestiert sich ein Problem der letzten Jahre sehr deutlich: In ganz Rajasthan regnet es waehrend der Monsoon-Zeit nicht mehr richtig. Der Wasserspiegel hier ist einige Meter unter dem normalen Niveau (in der Tat scheint sich auch in Himachal und Ladakh das Microklima zu aendern. Ersteres hat zuwenig, Zweiteres zuviel Niederschlag).
Chittorgarh. Ja, wieder ein Fort. Was den Leser wohl langsam schon langweilt, ist in Wahrheit ein erneutes Highlight an Aesthetik und Baukunst. Es beduerfte wohl einer poetischen Neigung, diese visuelle Stimulation mit gleicher Lebendigkeit in Worte zu fassen - zum Glueck haben wir eine Kamera. Die Geschichte dieses Forts ist bewegend. Dreimal wurde es eingenommen (einmal wegen einer schoenen Frau). Und jedesmal wurde das rituelle Jauhar begangen: Wenn die sichere Niederlage kurz bevorstand, ritten alle Maenner, in gelben Roben gekleidet, aus dem Fort, um dem Feind und dem sicheren Tod zu begegnen. Waehrend-dessen stuerzten sich die Frauen und Kinder in einen riesigen Scheiterhaufen. Ehre ueber Tod.
Pushkar, die kleine heilige Hindu-Stadt am heiligen See. Ruhig und verschlafen. Das Ganze mit Hippy-Flair. Zwei besonders abgefahrene Touristen, mit Gloeckchen und orangen Roben bekleidet, liefen staendig barfuss umher. In Indien allgemein und speziell in Pushkar besonders eklig. Im ganzen Dorf ist Alkohl und Fleisch verboten. Sogar Eier sind nirgends erhaeltlich. Dafuer wird einem interessanter Weise ueberall Haschisch angeboten. Dieses - im Gegensatz zu Alkohol - kann fuer die obere Hindu-Kaste (und Touristen) in einen religioesen Rahmen gebracht werden.
DAS MYSTISCHE UND METAPHYSISCHE INDIEN
Indien ist der Geburtsort des Hinduismus, Buddhimus und Jainismus. Letzteres ist eine Art Buddhismus-Derivat, dessen Gruender ein Zeitgenosse Buddhas war. Die Jain-Gurus leben meist in den Waeldern bei einem Tempel und sind immer nackt. Neben dem Muslimanteil gibt es noch eine Sikh-Minderheit. Die Sikh-Religion vereint vermeintlich die besten Elemente des Islam und des Hinduismus. Die Dominanz des Hinduismus liegt wohl in dessen Alter (die gruendenden Veda-Schriften sind 3000 - 6000 Jahre alt - je nach Quelle ) und dessen Flexibilitaet (Buddhismus gehoert nach Ansicht der Hindus zum Hinduismus) begruendet. Sadhus, die Hindu-Gurus, sind wandernde Asketen. Sie koennen diverse Fakir-Kunststuecke vollbringen und sind auch immer nur leicht bekleidet. Naiv (aus westlichen Augen?) betrachtet sind die ca. 330 Mio. Hindu-Goetter alles Manifestationen, Aspekte, Inkarnationen, Nachkommen eines der drei Hauptgoettern: Brahma, der Erschaffer; Vishnu, der Erhalter; Shiva, der Zerstoerer. Diese sind wiederum Ausdruck von Brahman, dem Einen, Unteilbaren, Ewigen, Unendlichen. Brahman ist ohne Inhalt oder Form. Die letztendliche Realitaet oder der Hintergrund unserer Realitaet. Die Quelle. In Anbetracht dieser Konzepte ist es wohl nicht verwunderlich, dass die indischen Mathematiker als einer der Ersten die Null einfuehrten. Und in der Tat wird dieses hinduistische Wissen um den Ursprung aller Dinge gelebt. So trafen wir auf einen Inder, der versuchte uns ueber das Wie und das Warum des Lebens aufzuklaeren. Leider ohne Erfolg. Ein Anderer hat die letzten 20 Jahre damit verbracht, Newtons und Einsteins Theorien zu falsifizieren.
TOUR D'INDE
3000 km in 10 Tagen. Dies bei einer Durchschnittsgeschwindigkeit der Zuege von 50 kmh. Agra mit dem obligaten Foto des Taj Mahal. 20 Jahre brauchte das Kunstwerk, bis es stand. Und trotz aller Clicheehaftigkeit ein imposanter Anblick.
Varanasi. Wieder eine heilige Stadt. Diesmal am heiligen Ganges. Indien von der charakteristischsten Seite. Touristen, Pilger, Sadhus und Einheimische die alle durch die engen Gassen stroemen. Jeder Hindu sollte mindestens einmal in seinem Leben ein rituelles und spirituell reinigendes Bad im Ganges nehmen. Wenn man die Wasserqualitaet bedenkt, wirklich ein Glaubensakt. Hier trifft sich Leben und Tod: Burning Ghats, Treppen in den Fluss, wo 24h lang Leichen verbrannt und die Ueberreste ins Wasser geworfen werden. Wer hier stirbt wird vom ewigen Zyklus der Wiedergeburt befreit und geht ins Nirwana ueber. Bemerkenswert ist die ausgelassene, heitere Stimmung der Menschen, die um die Scheiterhaufen ihrer Verwandten stehend. Die morbideren Details auslassend, sei hier doch erwaehnt, dass das Ganze zynischer Weise nach einem Grillfest roch. Die Koerper von Sadhus, Kindern, schwangere Frauen und Menschen, die an einem Kobrabiss starben (?) werden verhuellt und direkt mit Steinen beschwert im Fluss versenkt.
Etwas ausserhalb von Varanasi liegt Sarnath, wo der historische Buddha seine erste Rede hielt und somit die Religion gruendete.
Ajanta. 2000-jaehrige, von Menschen erschaffene, riesige Hoehlen der Buddhisten. Es ist wirklich unglaublich zu welcher Inspiration, Kreativitaet, Aesthetik, Genialitaet und Ausdauer Religionen weltweit die Menschen immer wieder getrieben haben. Die Bau-/Kunstwerke scheinen wirklich von einer hoehren Ebene zu sprechen.
Goa. Meer und Strand. Es ist Zwischensaison, d.h. die hiesige Raver-Szene hat sich noch nicht formiert. Ironischerweise sind wir von einer Grippe niedergeschlagen und liegen meist im Bungalow.
Bombay. Abflug.
BEMERKUNGEN
Fuer die Inder ist die Schweiz Himmel auf Erden (frueher war's Kashmir). Reiche Inder verbringen ihre Flitterwochen bei uns und in vielen Bollywood Filmen (kein Schreibfehler und in der Tat mit der entsprechenden US-Filmindustrie vergleichbar) gibt es kitschige Szenen aus der Schweiz. In gewissen Momenten, wenn die Inder fast zu Traenen geruehrt sind, dass wir aus der Schweiz sind, versuchen wir fairerweise auszugleichen und brechen ihren Glauben, Materialismus mache uneingeschraenkt gluecklich (Beispiele Suizid, Drogenabhangigkeit) und loben die indische Herzwaerme und Hilfsbereitschaft.
Die oberste Faehigkeit der Inder ist wohl die Anpassung. Dies aeussert sich in der Tatsache, dass keine indische Ehe scheitert, obwohl alle Ehen schon in fruehen Jahren arrangiert werden. Man passt sich eben an, erklaert man uns.
Ein Doppelzimmer kostet zwischen 4 und 10 Franken. Eine Mahlzeit zwischen 1 bis 4 Franken. Je nach Region und Anspruch.
Wir verbleiben mit lieben Gruessen in die Heimat
Eure
j&l